Für den Befehlsbereich 4 OBERÖSTERREICH

Ausgabe 4.5

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Generalmajor Rudolf Striedinger ist stellvertretender Generalstabschef des Bundesheeres und seit Dezember 2021 Co-Vorsitzender bei GECKO, der Gesamtstaatlichen COVID-Krisenkoordination. Wir haben mit ihm über seine Aufgaben bei GECKO, die Erfahrungen aus der Pandemie und die ersten Konsequenzen aus der Ukrainekrise gesprochen und erfahren, was ihn als Mensch und General geprägt hat und was ihm persönlich wichtig ist. 


Wie gestaltet sich Ihre Arbeit bei GECKO und wie sind Sie zu dieser Aufgabe gekommen?

Wie bin ich dazu gekommen? Die Frau Bundesminister für Landesverteidigung hat mich gefragt und mich dann in Abstimmung mit dem Bundeskanzler beauftragt, diese Aufgabe zu übernehmen. Das hatte aus meiner Sicht vermutlich folgende Gründe. Erstens: Man hat an internationalen Beispielen gesehen, wie Generäle im staatlichen Krisenmanagement der Pandemie integriert sind. Zweitens: Man hat bei der Konstruktion von GECKO die österreichischen Gegebenheiten bei den Zuständigkeiten berücksichtigt. So ist Frau Dr. Katharina Reich, als Chief Medical Officer, für die Masse der Aufgaben zuständig, weil es sich um Maßnahmen der allgemeinen Gesundheit dreht. Meine Aufgabenstellung in GECKO ist es, einerseits bei den logistischen Herausforderungen zu unterstützen und für die Umsetzung zu sorgen, wenn es sich um die Unterstützung durch das Bundesheer dreht. In meiner Funktion als stellvertretender Generalstabschef kann ich vieles unmittelbar im Bundesheer veranlassen. Seitdem das Bundesheer mit dem Testen beschäftigt war, stand ich in unmittelbarem Kontakt mit den Zuständigen im Bundeskanzleramt, in den anderen Ministerien und in den Bundesländern. Daher bin ich in vielen Bereichen bekannt und kenne selbst viele Zuständige, was sicher günstig ist. Der letzte Grund ist bestimmt auch, dass der Herr Bundeskanzler mich aus verschiedenen Begebenheiten kennt und mir gegenüber eine gewisse Erwartungshaltung hat, die er erfüllt haben möchte.

Wenn ich an die Arbeit bei GECKO denke, wird mir bewusst, wie man in Österreich denkt. Ich stelle fest, dass man oft glücklich und zufrieden ist, wenn Entscheidungen getroffen wurden. Man ist sogar erleichtert. Das ist die erste Reaktion. Doch dann dauert es nicht lange und man stellt die Entscheidungen wieder in Frage, fordert Nachbesserungen und Veränderungen, in der Annahme, dass es immer noch bessere Lösungen gibt als die getroffenen, ohne die Wirkung der Entscheidung einmal abzuwarten – eine nicht immer befriedigende Situation.

Das Bundesheer versteht sich als lernende Organisation. Welche Erkenntnisse hat das Bundesheer aus der COVID-19 Pandemie bislang gewonnen?

Die Bevölkerung und die Politik haben erlebt, wie das Bundesheer arbeitet.  Die wesentliche Erkenntnis für mich ist, dass man das Bundesheer für eine breite Palette an Aufgaben brauchen kann. Das muss im gesetzlichen Rahmen bleiben, darauf schauen wir. Die Bandbreite unseres Einsatzspektrums haben die Bevölkerung und die Politik mitbekommen. Beispielsweise die Massentestungen in Wien oder die Lehrertestungen haben das Bild des Bundesheeres geprägt. Ich kenne viele Lehrer, die davon geschwärmt haben, wie das Bundesheer aufgetreten ist. Die Lehrerschaft ist ein Multiplikator in der Meinungsbildung der Jugend. Das sollte uns zugutekommen. Wir wissen, dass gemeinsam mit dem Assistenzeinsatz Migration an der Staatsgrenze, extreme Ressourcen gebunden wurden und werden. Wir werden wieder zu unseren ureigenen Aufgaben, der militärischen Landesverteidigung, zurückkehren. Aber in einer Krise ist es nun einmal die Aufgabe des Bundesheeres, Assistenzen zu leisten.

Wie gehen die Angehörigen des Bundesheers mit den Belastungen um, welchen Eindruck haben Sie da gewonnen?

Es ist richtig. Wir haben eine gewisse hohe Belastung durch die zusätzlichen Aufgabenstellungen. Ich höre manchmal, dass Einheiten und Verbände, an der Grenze der Belastbarkeit stehen. Ja, das nehme ich zur Kenntnis. Ich vertrete die Auffassung, dass wenn unsere Soldaten die Aufträge nicht gut und gerne machen würden, würde ja die Qualität der Auftragserfüllung nicht so besonders gut sein. Die Soldaten machen die Aufgaben gut und ordnungsgemäß und sind dazu noch freundlich. Daran erkenne ich, dass noch keine Überforderung vorliegt. Ich sehe selbst ständig, wie die Einsatzbereitschaft und die Einsatzfreude vorhanden ist. Doch jetzt ist es einmal ein Gebot der Stunde. Klar ist, dass das nur zeitlich begrenzt sein kann.

Wie sehen Sie das, wenn das Bundesheer ist als strategische Handlungsreserve der Republik intensiv in Assistenzeinsätzen eingesetzt ist?

Die Tatsache, dass wir praktisch immer in der Lage sind, alle Anforderungen, Herausforderung und Aufträge tatsächlich zu erfüllen, zeigt mir, dass wir wirklich eine wertvolle Reserve für die Republik sind. Reserven setzt man ein, wenn sie gebraucht werden, wie es gerade bei der Pandemiebekämpfung geschieht. Auch die Botschaftsbewachungen in Wien sind ein Einsatz als Reserve, weil wir damit die Polizei entlasten und sie frei für andere Aufgaben wird. Auslöser war der Terroranschlag in Wien. Der Assistenzeinsatz Migration an der Staatsgrenze ist für mich kein Reserveneinsatz mehr. Das ist ein langfristiger Einsatz, das ist ein Verstärkungseinsatz, um die Grenze gegenüber der Migration dichter zu machen. Das bleibt notwendig. Die steigenden Aufgriffszahlen im Burgenland sprechen da eine deutliche Sprache.

Vor Monaten waren die Aufgaben des Bundesheers bei der Pandemiebekämpfung mit der Militärischen Landesverteidigung in Diskussion. Es kam die Darstellung auf, Militärische Landesverteidigung ist gleich konventionelle Kriegführung ist gleich Kampf der verbundenen Waffen ist gleich Aufgabe der Kampfverbände. Was halten Sie davon?

Ja, mit dieser vereinfachten Darstellung, mit dieser reduzierten Formel, wurde tatsächlich öffentlich argumentiert. Doch so lässt sich der Einsatz und die Aufgabenwahrnehmung des Bundesheers nicht erklären. Eine moderne militärische Landesverteidigung ist viel breiter zu sehen und viel tiefer zu verstehen. Da geht es nicht um die Strukturen des Bundesheers alleine, das reicht nicht aus. Wenn man sich das zukünftige Einsatzspektrum des Bundesheeres mit seinen Einsatzmöglichkeiten vor Augen führt, dann wird man erkennen, dass der überwiegende Teil der Aufgabenstellungen für uns nicht in der Militärischen Landesverteidigung im engeren Sinne zu finden ist. Es werden Assistenzen sein und das zivile Leben wird weitergehen. Solche neuen Szenarien werden oftmals unvermittelt auftreten. Dazu müssen wir noch schneller werden, unsere Reaktionszeiten verkürzen. Doch wir werden unsere Aufgabenstellung im Rahmen der Militärischen Landesverteidigung niemals aus den Augen verlieren, so viel ist klar.

Der Spruch von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, wer kämpfen kann, kann helfen, wer helfen kann, muss nicht kämpfen können, ist und bleibt zutreffend.

Das Bundesheer ist mit vielen militärischen Fähigkeiten auf Rekonstruktionskerne reduziert worden. Vor dem Hintergrund der Ukrainekrise – ist nun der Auslöser gegeben, der Politik zu raten, das Bundesheer wieder rein militärisch aufwachsen zu lassen?

Nein, wir befinden uns nicht in einer Lage, die eine rasche Rekonstruktion der Streitkräfte verlangt. Warum, weil ein konventioneller Angriff auf unser Staatsgebiet auf absehbare Zeit nicht zu sehen ist, auch nicht wegen der Ukrainekrise. Unser Konzept der Rekonstruktion der Streitkräfte sieht vor, dass sich die Republik auf die Abwehr eines konventionellen Angriffes auf das Staatsgebiet vorbereitet. Dann nämlich, wenn sich ein potenzieller Gegner konkret militärisch darauf vorbereitet, in unser Land einzumarschieren. Ich möchte noch betonen, dass genau dieses Szenario nicht das einzige ist, auf das wir uns im Rahmen der militärischen Landesverteidigung einstellen. Es geht um mehr als das. Wir bleiben nicht auf dem Gefechtsbild des letzten Jahrhunderts stehen. Denn es gibt Szenarien, die hinsichtlich ihres Eintrittes wesentlich wahrscheinlicher sind und uns auch hart betreffen können. Auf diese Szenarien werden wir uns vorbereiten. Und wir werden unsere Rekonstruktionskerne genauso weiterentwickeln müssen, um sie auf einem modernen Stand zu halten.

Wer ist der Mensch und General Rudolf Striedinger, was hat Sie geprägt und worauf kommt es Ihnen im Leben an?

Ich bin, was die Berufswahl betrifft, durch mein Elternhaus geprägt worden. Ich bin der Älteste von drei Kindern. Mein Vater machte mir gegenüber klar, dass ich gegenüber meinen jüngeren Geschwistern eine Verantwortung habe und Vorbild sein soll. Das hatte Einfluss auf meine Entwicklung.

Ein weiterer Einfluss war, dass einige Familienmitglieder beim Militär gewesen sind. Zuerst einmal mein Vater, der als Generalmajor in Pension gegangen ist. Oder mein Onkel und Taufpate, General Karl Majcen, der Generaltruppeninspektor war. Das Bundesheer war grundsätzlich präsent und ist mitgeschwungen, aber es gab zu Hause keinen Militarismus. Ob ich Berufsoffizier werde, war zunächst überhaupt kein Thema. Während des „Einjährigen Freiwilligen“ – Jahres beim Bundesheer habe ich mich entschieden, auf die Theresianische Militärakademie zu gehen. Das Militär habe ich erst beim Bundesheer so richtig kennengelernt.

Durch meine Schulbildung mit der Matura war ich breit aufgestellt und zunächst in keine Richtung spezialisiert. Die Breite der Möglichkeiten, die Abwechslung der Karrieremöglichkeiten habe ich beim Offiziersberuf vorgefunden. Veränderung der beruflichen Entwicklung ist die eine Konstante. Die zweite Konstante ist die Menschenführung, Vorbild sein und persönliche Qualitäten entwickeln, was mir auch sehr entgegenkommt. Das habe ich von zu Hause mitbekommen. Ob als junger Offizier, als junger Generalstabsoffizier, oder als General – die soziale Kompetenz ist ständig gefordert und diese muss man täglich unter Beweis stellen.

Worauf es mir im Leben ankommt? Da ist einerseits die berufliche Erfüllung, aber genauso die familiäre Entwicklung und das Privatleben. Der Dienst ist nicht alles. Ständig ist darauf zu achten, dass man zwischen Dienst und privatem Leben einen Ausgleich findet. Dann wird man auch im dienstlichen Bereich ein Mensch bleiben können.

Was sind Ihre besonderen Stärken?

Meiner Meinung nach liegt meine besondere Stärke im respektvollen Umgang mit den Menschen. Ich möchte das an einem Beispiel im Auslandseinsatz erläutern, als ich 2006 Kommandant einer Task Force in Bosnien war. Ich hatte eine multinationale Kampfgruppe mit 1.300 Soldaten aus dreizehn Nationen zu führen und dabei nach drei persönlichen Grundsätzen gehandelt. Erstens: „Vertraue deinen Leuten“, denn dann werden sie verantwortungsbewusst ihre Arbeit machen. Zweitens: „Mache deinen Leuten bewusst, dass sie für die Mission wichtig sind und es wichtig ist, was sie für den Kommandanten tun.“ Das hebt die Bedeutung, das Selbstvertrauen und wiederum das Verantwortungsbewusstsein. Daraus ergibt sich eine gute Arbeitsleistung in einem guten Klima. Drittens: „Sei freundlich.“ Wenn man auf eine Gruppe von Soldaten trifft, ganz besonders als Vorgesetzter, dann bekommt man die Freundlichkeit zurück. Das wirkt sich auf ein positives Arbeitsklima aus. Diese, meine, Grundsätze haben ein sehr harmonisches Klima in der gesamten Task Force erzeugt.

Wenn man über Stärken redet, dann denkt man genauso über Schwächen nach. Für mich hat der Dienst einen hohen Stellenwert. Ich habe eine Schwäche für den Dienst und muss mir immer klarmachen, dass ich das Privatleben nicht vernachlässigen darf. Meine Frau ist Stationsschwester und gleichfalls von der Pandemie betroffen. Sie hat ein Grundverständnis für meine Aufgaben und meine zusätzliche Aufgabe nun bei GECKO. Ich war zuvor Militärkommandant von Niederöstereich und habe auch dort die Erfahrung gemacht, dass hoher zeitlicher Aufwand richtig gehandhabt werden muss, weil diese Aufgabe viel Zeit und Engagement braucht, wenn man es richtig und gut machen will.

Was sind die Dinge oder Verhaltensweisen, die Sie nicht mögen?

Mir ist sehr wichtig, offen und ehrlich über Dinge oder Probleme reden zu können. Ich bringe jedem oder jeder einen Vertrauensvorschuss entgegen. Ich mag dann gar nicht, wenn der missbraucht wird. Das ist für mich dann eine Art von Verlogenheit. Wenn jemand mein Vertrauen hat, und ihm passiert unabsichtlich etwas Unangenehmes, weil er vielleicht etwas übersehen hat, dann bin ich dem überhaupt nicht böse und auch extrem rasch wieder im Guten mit ihm.

Was erwarten Sie sich von Ihren Soldatinnen und Soldaten und Mitarbeitern und was von Ihren Vorgesetzen?

Ich erwarte mir Loyalität mit einem gesunden Schuss Kritikfähigkeit. Ich sage bewusst, ich will keinen Kadavergehorsam. Von den Leuten in meiner unmittelbaren Umgebung, von den mir direkt unterstellten Leuten, erwarte ich mir, dass ich mit ihnen offen und ehrlich Problemfelder diskutieren kann. Wenn ich meine Entscheidung getroffen habe, erwarte ich, dass sie von allen mitgetragen wird. Zwar versuche ich, die Entscheidungen in allen Aspekten gemeinsam zu entwickeln, doch das geht oftmals von der Zeit her nicht. Dann ist das trotzdem, oder erst recht, komplett mitzutragen. Von meinen Vorgesetzten erwarte ich mir, dass mir für meine Aufgabenstellung ein Verständnis entgegengebracht wird. Verständnis für die Aufgabenstellung, die ich wahrzunehmen habe. Wenn ich ein Einvernehmen mit meinen Vorgesetzen über weitere Vorgehensweisen gefunden habe, dann erwarte ich mir, dass das unterstützt und mitgetragen wird. Genauso, wie ich es mit meinen Mitarbeitern handhabe.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zu Oberösterreich? Wie sehen Sie das Bundesheer in Oberösterreich? Es ist für mich interessant, welche Vielfalt unsere Republik in Bezug auf den jeweiligen regionalen Menschenschlag hervorbringt. Ich komme im beruflichen Leben immer wieder mit Leuten aus Oberösterreich zusammen. Meine Erfahrung ist, dass man in Oberösterreich ein stark ausgeprägtes Grundselbstbewusstsein der Menschen vorfindet, wenn es um das Vertreten der eigenen Meinung geht. Ich habe den Eindruck, dass das in Oberösterreich etwas stärker ausgeprägt ist, als vielleicht anderswo in der Republik. Das kann möglicherweise an den teilweise ländlichen Strukturen liegen, wenn ich an die beeindruckenden Vierkanter denke. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Zum Bundesheer mit seinen Elementen in Oberösterreich kann ich sagen, dass in diesem Bundesland ganz wichtige Verbände und Dienststellen disloziert sind. Es gibt ein starkes mechanisiertes Schwergewicht, also Panzer, dann die Luftstreitkräfte, dann die Heeresunteroffiziersakademie und damit ganz entscheidende Bestandteile der österreichischen Streitkräfte. Das Grundprinzip unserer Bundesministerin wird auch in Oberösterreich verfolgt, nämlich, dass es keine Reduzierung bei der Truppe geben soll und alle Garnisonen weiter zu betreiben sind. Als ehemaliger Militärkommandant von Niederösterreich kenne ich die föderale Bedeutung der Bundesländer gut. Erinnern muss ich dennoch daran, dass das Bundesheer eine Bundesorganisation ist und daher die Gegebenheiten der Republik maßgebend sind.